Das Soziale der Stadt V „Realising Capabilities“ zu Martha Nussbaum 2018

Die Seminarreihe „Das Soziale der Stadt“ behandelt theoretische Fragestellungen zur sozialen Beschaffenheit des Stadtraums. Thematisch geht die Seminarreihe von der These aus, dass Stadtraum sozial produziert wird. Was oder wer aber konstituiert die gemeinschaftliche und auch konflikthafte Produktion von Stadt? Und wie kommt sie zu Stande? Vor dem Hintergrund dieses Fragens unternimmt die fünfte Ausgabe des Seminars den Versuch, entlang des moralphilosophischen Denkens von Martha Nussbaum Hinweise auf eine mögliche Theorie des Sozialen der Stadt zu erarbeiten.

Befördert von der Debatte um die Wohnungs- und Bodenfrage ist aktuell vermehrt von (Un-) Gerechtigkeit im Hinblick auf Stadt die Rede. Für die Planung beinhaltet diese Debatte zuvorderst auch eine konzeptuelle Fragestellung. Seit der Postmoderne scheint Gerechtigkeit im Sinne von sozialer Balance kaum mehr eine stadtpolitische oder städtebauliche Vision für die Zukunft bereitzuhalten. Wo das Leitbild der Moderne, eine sozial gerechte Stadt für alle einzurichten bis in die 1960er Jahre in unterschiedlichsten Weisen scheiterte, so zog sich die Planung der Postmoderne ab den 1970ern aufs Lokale und Minoritäre zurück. Konzentriert auf einzelne städtische Gruppen, Minderheiten oder Bürgerbeteiligung, brachte sie an den Verhältnissen einer ungerechten Stadt kaum grundlegende Transformationen hervor. 
Angesichts dessen bringen Martha Nussbaums Theoriebestände wichtige Aspekte in die konzeptionelle Debatte über die zukünftige moralische Grundlage der Planung ein. Ihre Befragung dessen, was man unter Gerechtigkeit und dem guten Leben verstehen soll, steht quer zum egalitären Gerechtigkeitsbegriff der Moderne, der für alle möglichst gleiche Wohn- und Lebensverhältnisse vorsah. Mit dem capabilities approach (Ansatz der Fähigkeiten) schlägt Nussbaum einen alternativen gemeinsamen Bezugsrahmen vor, der nicht auf Gruppen, sondern auf die Einzelnen zielt. Gerechtigkeit gilt hier als das Ermöglichen einer Aussicht für alle, ihre jeweiligen Potentialitäten auszuleben. Was eine gerechte Stadt danach können sollte, ist, auch denen, die sozial über weniger Ressourcen verfügen, zu erlauben, ihre Fähigkeiten zu realisieren. 

Wie Nussbaum an ihrer Ethik des Guten eine Neudefinition des Begriffs des Wohlergehens konturiert, so untersucht sie überdies, wie es um die Bürgerrechte bestellt ist und wie diese auf dem Fähigkeitenansatz gründen sollen. Das Seminar befragt auf kritisch-reflexive Weise Nussbaums Theorien aus der Perspektive des Stadtdiskurses und sucht sie für eben jenen fruchtbar machen. Angeregt durch Nussbaums Nachdenken über eine Theorie des Guten, will das Seminar theoretische Ressourcen für eine Stadtreflexion gewinnen, die der Frage der prinzipiellen Gerechtigkeit im Hinblick auf Stadt ebenso Rechnung trägt wie der Geschlechter- und Minderheitengerechtigkeit. In Gruppenarbeit schließen die Studierenden die für die Fragestellung wichtigsten Bücher von Nussbaum auf, legen deren zentrale Thesen dar und verknüpfen sie mit Themenbereichen des Stadtdiskurses. Das Seminar richtet sich an Studierende der Architektur, Stadtplanung und Urban Design.

Literatur:

Mack, Jennifer: The Construction of Equality. Minneapolis 2017
Mostafavi, Mohsen: Ethics of the Urban. Zürich 2017
Nussbaum, Martha: Die Grenzen der Gerechtigkeit: Behinderung, Nationalität und Spezieszugehörigkeit. Frankfurt am Main 2010
Nussbaum, Martha: Vom Nutzen der Moraltheorie für das Leben. Wien 2000
Nussbaum, Martha: Nicht für den Profit: warum Demokratie Bildung braucht. Überlingen 2012 
Nussbaum, Martha: Creating Capabilities. The Human Development Approach. Cambridge 2011
Nussbaum, Martha: Die neue religiöse Intoleranz. Ein Ausweg aus der Politik der Angst. Darmstadt 2014
Nussbaum, Martha: Politische Emotionen: Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist. Frankfurt a.M. 2014
Nussbaum, Martha: Zorn und Vergebung: Plädoyer für eine Kultur der Gelassenheit. Darmstadt 2017

Montags 14.15 - 16.45 Uhr, Raum 3.102

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